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Vorortbahn 803/804
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Der ehemalige S-Bahn Triebzug 803/804 am 15. Dezember 1987 als Bahnhofswagen 21 im Containerbahnhof Karl-Marx-Stadt Goethestraße. Wenige Monate zuvor endeten bessere Bilder mit Festnahme des Fotografen und der bislang einzigen Beschlagnahme eines seiner Filme. An diesem frostigen 15. Dezember waren wir zu zweit mit einem geliehenen VW Golf auf Einladung der Außenhandelsorganisation INTRAC der DDR und des Verkehrsmuseums Dresden von Hamburg nach Karl-Marx-Stadt und zurück zwecks Besichtigung des zum Kauf angebotenen ehemaligen S-Bahn Zuges unterwegs. Wer jemals die DDR vor der Wende besuchte, wird die Abenteuerlichkeit dieser Tagesreise nachvollziehen können. Einreise über Duderstadt, wo verschlafene Grenzer stolz und zeitaufwändig ihr Röntgengerät vorführten, endlose russische Militärkolonnen mit 30 km/h südlich Stendal und vereiste Straßen, Aufregung in der Staatsbankfiliale Ziesar, wo offenbar noch nie ein Westbürger seinen Zwangsumtausch erledigte und nach 20 Min. Wartezeit extra ein Sonderschalter öffnete und letztlich knapp einstündig verspätete Ankunft in Karl-Marx-Stadt, wo die Verhandlungspartner bereits wieder ins Wochenende abgereist waren. Fahrzeugbesichtigung im Schnelldurchgang, da ja auch noch die polizeiliche An-/Abmeldung zu erfolgen hatte, was nach Auffinden der richtigen Dienststelle wenige Minuten vor Dienstschluss gerade noch gelang. Nun musste das Land nur noch vor Mitternacht verlassen werden, wozu am ehesten der Grenzübergang Herleshausen geeignet erschien, wo es kurz davor sogar noch gelang, den Zwangsumtausch in Kraftstoff umzusetzen. Mit nächtlicher Autobahnfahrt wurde Hamburg nach fast 24 Stunden wieder erreicht. Foto: © W. Greiffenberger.
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Technische Daten
Fahrzeugnummer | 803+804 / 627+5127 / 852-311+852-312 / 605099-65360-8+27312-6 / 21 |
Hersteller/Typ | Van der Zypen & Charlier Köln-Deutz / Bauart 1912 |
Baujahr/Fabriknummer | 1912 / ? |
Länge über Puffer | 29650 mm |
Achsfolge | Bo'1+1 2' |
Achsstand | 2500 / 9500 mm |
Raddurchmesser | 1000 mm |
Masse | 64000 kg |
Leistung | 2 x 110 kW |
Motor | WBM 281 |
Bremse | Kpbr 14", Spindel-Hbr. |
Höchstgeschwindigkeit | 50 km/h |
Beleuchtung | Glühlampen - Reihe |
Rahmen | genietete Stahlprofile mit Sprengwerk |
Heizung | elektrisch Frischstrom |
Plätze 1/2/3/4.Kl./Steh | -/44/86/-/? |
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Fahrzeuggeschichte
Wegen des Fahrgastandranges mussten 1912/13 je weitere 15 Doppelwagen für die Stadt-und Vorortbahn in Dienst gestellt werden, die leichter als die Vorgänger ausgeführt wurden. Als ab 1923 Stahlwagen folgten, wurden nur die älteren Holzwagen aufgearbeitet und dieser, wie viele weitere, für den Dampfzugbetrieb umgerüstet. Der 1924er Plan sah die Nummern 627+5127 vor. Diese Triebwagennummern behielten die Wagen auch als Dampfzugwagen, so dass sie in Wagenverzeichnissen nicht auftauchten und ihre Beheimatung und Verwendung bis heute weitgehend ungeklärt sind.
Neben einem anderen Doppelwagen soll auch der 627+5127 an eine Kleinbahn im Gebiet der späteren DDR verkauft worden sein. Durch Verstaatlichung gelangten sie an die DDR Reichsbahn. Um 1960 wurde der Doppelwagen im Raw Potsdam für den Hilfszug Aue(Sachsen) als Energieversorgungswagen 852-311 und Aufenthaltswagen 852-312 umgebaut. Nummern ab 1968 605099-65360-8+-27312-6. Im März 1987 wurde der Doppelwagen zufällig als stationärer Aufenthalts- und Werkstattwagen am Containerbahnhof Karl-Marx-Stadt Goethestraße vorgefunden (Bahnhofswagen 21) und am 15.2.88 angekauft. Ankunft beim VVM Aumühle am 10.10.88.
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Museale Bedeutung
Die Hamburger Stadt- und Vorortbahn Blankenese - Ohlsdorf diente ab 1907 als Großversuch für die geplante Fernbahn-Elektrifizierung der preußischen Staatsbahn. Statt des Stromsystems 6300V~ 25 Hz des Versuchs, der ein Inselbetrieb blieb, kamen hierfür später jedoch 15000V~ 16 2/3 Hz zur Anwendung. Die Stadt- und Vorortbahn, ab Mitte der 1930er Jahre nach Berliner Vorbild S-Bahn genannt, war die Keimzelle aller mit Triebzügen im dichten Takt betriebenen S-Bahnen.
140 Doppelwagen, die bis zu 8 Wagen Zügen kuppelbar waren, wurden in mehreren Serien zwischen 1905 und 1913 beschafft. Die Wagenkästen entsprachen weitgehend den üblichen preußischen Abteilwagen, die elektrische Ausrüstung konnte bereits fast komplett unter dem Wagenboden angeordnet werden. Die beiden Wagenkästen waren mit einer federbelasteten Kurzkupplung verbunden, dennoch führten die hier angeordneten Lenkachsen zu einem unbefriedigenden Laufverhalten.
Nach dem ersten Weltkrieg war die Elektrik verschlissen und es fehlten Ersatzteile, so dass auch mit Dampfloks bespannte Züge verkehren mussten. 88 ältere Doppelwagen wurden aufgearbeitet und erhielten eine weitgehend erneuerte elektrische Ausrüstung, von 1922 bis 1932 wurden dann in mehreren Lieferungen 57 neue stählerne Doppelwagen mit Tonnendach beschafft, deren Wagenkästen in der Mitte auf einem gemeinsamen "Jakobs"-Drehgestell auflagen, was zu erheblich besseren Laufeigenschaften führte.
Die restlichen 52 neueren Doppelwagen von 1911-1913 wurden deshalb nicht mehr modernisiert, sondern für die Verwendung in Dampfzügen umgebaut, wo sie bis Ende der 1950er Jahre über Deutschland verteilt im Einsatz standen. Der Krieg verschlug einige auch in später polnische oder tschechische Gebiete. Auch durch die neuen Gleichstromzüge ab 1939 überzählige modernisierte Holzwagen gelangten in der Kriegs- und Nachkriegszeit noch in den Dampfzugbetrieb, die letzten verschwanden 1954 aus dem S-Bahn Betrieb, von ihnen überlebte aber keiner.
In den 1980er Jahren war in Westdeutschland nicht bekannt, dass einzelne der in den 1920ern für den Dampfzugbetrieb umgebauten Wagen im Osten zu Bahndienstwagen umgebaut noch vorhanden waren. Nach Auffinden des 803+804 in Karl-Marx-Stadt - heute wieder Chemnitz - wurde trotz erheblicher Umbauten beschlossen, dieses letzte Überbleibsel aus der Anfangszeit der Hamburger S-Bahn zumindest sicherzustellen, auch wenn eine Aufarbeitung noch in den Sternen steht.
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Weitere Bilder
Nach Ankunft im Westen verschwand der 803/804 alsbald unter alten LKW-Planen, so dass auch hier Fotos fehlen. Zu den ersten digitalen Foto-Aktivitäten gehörten aber auch Versuche digitaler Dokumentation, Ende 2003 entstanden so auch erste Innenaufnahmen. Das Beispielbild zeigt, dass trotz blätternder Farbe noch etliches an preußischer Ursprungssubstanz und zahlreiche Spuren nicht mehr vorhandendener Teile auffindbar sind. Das Risiko eines Fehlschlags besteht bei jeder Fahrzeugbeschaffung und die Zukunft konnte bislang noch kaum jemand erfolgreich voraussagen. Ähnlich kritisch verlief eineinhalb Jahrzehnte früher die Beschaffung des Stahlwagens 1624, dessen historische korrekte Herrichtung jedoch immer weitere Fortschritte machte. Möge es auch künftig noch einigen Enthusiasten "in den Fingern jucken", dieses handwerklich hervorragende Erbe ihrer Vorfahren wieder ansehnlich und anschaulich herzurichten. Foto: © W. Greiffenberger.
Dem Stuttgarter Fotografen F. Willke und der Sammlung H. Hoyer, Hamburg, verdanken wir dieses Foto von 1958. Es zeigt den ausgemusterten Doppelwagen 626/5126 des Bahnhofs Aalen im Ausbesserungswerk Bad Cannstadt. Unserem 803/804 war im Nummernplan 1925 die Nummer 627/5127 zugeteilt worden, er ist also ein direktes Schwesterfahrzeug, und man mag annehmen, dass er nach dem 2. Weltkrieg ein ähnliches Erscheinungsbild besaß. Völlig ungeklärt ist, warum die von elektrischen S-Bahn Wagen zu Dampfzugfahrzeugen umgebauten Viertelzüge zumindest bei der DB offenbar bis zum Ende die ab 1932 obsoleten Nummern des Nummernplans 1925 behielten. Leider erscheinen sie deshalb auch kaum in offiziellen Fahrzeug- oder Beheimatungslisten, womit ihr Schicksal bis heute weitgehend ungeklärt ist. Foto: © F. Willke.
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