|
Studienfahrt Frankfurt/Oder und Schöneiche - Rüdersdorf am 09.04.2011
VVM-Studienfahrten sind in der Regel öffentlich, d. h. jeder, der Interesse daran hat,
kann gerne daran teilnehmen. Infos zu aktuellen Fahrten finden Sie unter
Termine.
Die VVM-Studienfahrt am 9. April 2011 führte zuerst nach Frankfurt/Oder und anschließend zur Straßenbahn Schöneiche - Rüdersdorf.
Einen Bericht von dieser Fahrt finden Sie in den
Hamburger Nahverkehrsnachrichten
2/2011.
Text und Fotos: © Rolf König und Walter Greiffenberger.
Per ICE und RE ist die Bahnreise nach Frankfurt/Oder meist problemlos, heute verkehrte der RE aber mit auf 15 Min. anwachsender Verspätung, was unbedingt per Mobiltelefon an die dortigen Straßenbahnfreunde zu melden war.
Die Tram-Haltestelle am Hbf. befindet sich rund 150m vom Bahnhof entfernt und verfügt über keine Ausweiche. Unsere Sonderwagen verkehrten wegen unserer verspäteten Ankunft erst nach dem nächsten Planzug, so dass bereits ein kurzer Eindruck vom Planverkehr entstand. Niederflurwagen 308 nähert sich über die Steigung aus der Innenstadt heraus hier der Haltestelle Hauptbahnhof.
Gleich zu Anfang führt es uns in den Norden zur Lebuser Vorstadt. Dieses Ziel gehört zu den ersten Netzerweiterungen vom Dezember 1899 nachdem der Betrieb knapp zwei Jahre vorher eröffnet wurde. Bedarf bestand nicht unwesentlich durch den, bis in die 1990er Jahre betriebenen, Schlachthof (rechter Hand liegend). Heute geht es hier eher beschaulich zu. Unsere drei Wagen haben die 1967 eröffnete Endschleife umrundet und kurz vor der Haltestelle „Neue Welt” Aufstellung genommen. Als vorderster Wagen Gotha Triebwagen 35 Baujahr 1957. Er gehörte zu den ersten Wagen dieses Typs in der Stadt und stand bis zum Ende der Zweiachser 1995 im Einsatz. Nach einer Episode als Arbeitswagen wurde er rechtzeitig zum 110. Jubiläum 2008 zum Museumswagen. Er trägt den ab 1984 verwendeten Anstrich.
Lange Zeit von großen Schäden verschont, traf es die Stadt - zur Festung erklärt - noch kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges im April 1945 sehr schwer. 93 Prozent der Altstadt wurden zerstört. Die Strecke in den, durch die Odergrenzziehung zur polnischen Stadt Słubice gewordenen, ehemaligen Stadtteil Dammvorstadt ging nie wieder in Betrieb. Im Zuge des erweiterten Wiederaufbaus wurde bis 1958 die Karl-Marx-Straße, wegen ihrer Breite auch „Magistrale” genannt, angelegt, und seitdem von der Straßenbahn vom Schlachthof kommend, anstelle der Altstadt durchfahren. An ihrem Anfang liegt der Lennépark auf den ehemaligen Wallanlagen errichtet. In Form einer Büste beobachtet hier der Straßennamensgeber unser Tun.
Der im Fordergrund stehende Wagen 38 Typ ET54 „Lowa” hat eine bewegte Geschichte: 1955 von der Wagonfabrik Gotha gebaut, verkehrte er bis zur Stilllegung 1966 als Nr. 13 in Stralsund! In Leipzig Heiterblick wurde er dann zum Einrichtungswagen umgebaut und nach Gera umgesetzt (Nr. 136). 1991 gelangte er nach Naumburg (Nr. 28), wo er aber nach Aufgabe des Ringbetriebes kein sinnvolles Einsatzgebiet mehr hatte. 2002 kam er dann nach Frankfurt und wurde bis 2008 zum Museumswagen restauriert. Frankfurt hatte original drei Triebwagen dieses Typs (36-38) (das erste Jahr sogar noch mit Stangenstromabnehmer) zwei Wagen wurden schon 1970/72 wieder ausgemustert, der dritte (38) 1973 umgezeichnet in 25 lief noch bis 1978 und stand dann als Nr. 139 noch für weitere 10 Jahre in Gera im Dienst.
An der Schleife „Messe” behinderten die Fotografen sich erheblich gegenseitig. Obwohl schon zum Einsteigen aufgefordert war, schnell noch ein Bild in günstigem Licht. Kaum noch nachvollziehbar ist heute, dass die Strecke von Oktober 1988 -September 1990 und Mai 1991 - November 1991 wegen schlechten Gleiszustandes im Schienenersatzverkehr befahren werden musste.
Der dritte Wagen in der Reihe ist auch der älteste, Tw 60 ist Baujahr 1936, stammt von Wismar/AEG und war so mit nur kleineren Umbauten bis 1975 im Einsatz (so erfolgte z.B. in den 1960er Jahren ein Umbau, damit die Fahrer ihre Tätigkeit im Sitzen verrichten konnten). Bis 1988 Arbeitswagen, ist er seit 1992 wieder im historischen Erscheinungsbild unterwegs. Hier in der Blockschleife „Europa Universität” grüßt im Hintergrund der Oderturm, das höchste Gebäude der Stadt und auch des Landes Brandenburg.
Die gleiche Stelle passiert das heutige Gesicht der Stadtverkehrsgesellschaft. GT6M Niederflurtriebwagen 303 in der aktuellen Farbgebung „hellgrün”, die seit 2003 bei Umlackierungen verwendet wird, gehört zur einer Serie von 8 1993-95 von der AEG in Nürnberg gelieferten Wagen. Diesen recht erfolgreichen Fahrzeugtyp kann man in Varianten auch in diversen anderen deutschen Städten antreffen. In Frankfurt bleiben sie wohl noch eine Zeit lang die jüngsten Wagen. Den Grund, warum wir an dieser komischen Stelle stehen...
...sieht man, wenn sich der Fotograf nach links dreht. Das Depot Bachgasse war 1889 - 1998 in Betrieb, allerdings reichte der Platz hier schon frühzeitig nicht aus, so dass viele Jahre lang Wagen auf nicht benötigten Gleistrassen im Freien abgestellt wurden. Erst als im heutigen Betriebshof Neuberesinchen 1988 die ersten Abstellflächen genutzt werden konnten, entspannte sich die Situation. Auch die Arbeitssituation im beengten alten Betriebshof soll besonders Ende der 1980er Jahre geradezu katastrophal gewesen sein. Man kann das noch beim Blick in die heute von den Straßenbahnfreunden genutzte Werkstatt erahnen. Das hier tief liegende Gebiet ist immer wieder vom Hochwasser (zuletzt 1997) der nahen Oder betroffen. Parade der historischen Wagen vor der heutigen Museumswerkstatt, dem Westteil des ehemaligen Betriebshofes. Wagen 41 ist ein Schwesterfahrzeug des beschriebenen Tw 60. Problematisch für die Straßenbahnfreunde ist zum einen, dass der zuschussbedürftige Verkehrsbetrieb seine frühere Förderung der Museumsfahrzeuge aufgeben musste und zum anderen, dass sich der genutzte Depotrest in einen Sanierungsgebiet aus nicht mehr genutzten Industriebauten befindet, über dessen Zukunft noch nicht entschieden ist.
1970 war die Gesamteinstellung des Betriebes bis 1985 geplant, um sich schon kurze Zeit später noch einmal umzubesinnen und stattdessen auf Erweiterung zu setzten. Zwischen 1980 und 1988 wurden im Südosten der Stadt zwei großzügig von Straßen unabhängig ausgebaute Strecken gebaut: Vom Hauptbahnhof ins Neubaugebiet Neuberesinchen und via Friedhof (die alte Strecke wurde dafür aufgelassen) und Kopernikusstraße zum Halbleiterwerk Markendorf. Dort arbeiteten Ende der 1980er Jahre 8.000 Menschen. Wegen kurzfristig eingelegter Bauarbeiten konnte diese Strecke leider nur bis zur Schleife Kopenikusstraße befahren werden. Davor aber noch ein Fotohalt an einem Stück mit Rasengleis kurz vor der Verzweigung der Strecken - mit Triebwagen 49 und dem einzigen Beiwagen des Tages, 113. Der Triebwagen vom Typ T2-62 lief von 1964 - 1989 in Plauen als Nr. 74, dann konnte er sich noch 6 Jahre in Frankfurt bewähren. Danach wurde er zum Museumswagen und erhielt eine Lackierung, wie sie bis in die 1970er Jahre verwendet wurde. Der Beiwagen vom Typ B57 war durchgehend von 1957 bis 1995 in Frankfurt im Einsatz, seit 1998 ist er Museumswagen.
Das typische Innere der DDR-Nachkriegsfahrzeuge, die Detailunterschiede offenbaren sich eher nur Fachleuten. Im Beiwagen 113, hier an der Endstelle „Stadion”, erinnert nur der Entwerter daran, dass die DDR Geschichte ist. Dieser wurde 1991 gebraucht aus München übernommen.
Spät, erst 1987 kamen die ersten Wagen des in Prag gefertigten Gelenkwagens KT4D in die Stadt, die letzten wurden erst nach der Wende, 1990 geliefert. Heute sind noch 19 von ehemals 34 in Betrieb und sind weiterhin unverzichtbar, da mit den 8 Niederflurwagen selbst in verkehrsschwachen Zeiten das Netz nicht zu betreiben ist. Die Strecke zum Stadion konnten diese Wagen zunächst nicht befahren, weil sich hier bis 1990 noch die letzte Kuppelendstelle im Netz befand. Dafür standen sie aber zwischen Lieferung und Inbetriebnahme einige Monate auf einem Gleis dieser Strecke abgestellt - heute undenkbar, Vandalen hätten sie in kürzester Zeit verwüstet. Dass hier überhaupt Endstation ist, lag an der kurzzeitigen Stilllegung des Astes 1970 - bei der Wiederinbetriebnahme war die weitere Strecke bereits unbefahrbar. Die creme-rot Lackierung erhielten alle Wagen ab 1992, auch die Niederflurwagen wurden in diesem Farbschema geliefert.
Die Mittagspause war fotografisch nicht sehr ergiebig. An der zentralen Verzweigung in der Innenstadt vor dem Einkaufstempel „Lenné-Passagen” erkennt man, dass auch Frankfurt/Oder seinen Bürgern ein „U-Bahn Gefühl” bietet - mit Trams, deren Fenster zum Hinausschauen nicht mehr geeignet sind. Warum eigentlich beklebt man nicht auch andere öffentliche Einrichtungen wie Behörden, Schulen usw. rundum mit Reklame?
Im modernen neuen Betriebshof Neuberesinchen stieß man auf dieses interessante Arbeitsfahrzeug mit klappbarer Auffahrrampe, das aus einem „2 Zimmer mit Küche”-Triebwagen entstand. Von hier war dann bereits - nach Bereisung aller befahrbarer Strecken - der Bahnhof das nächste wichtige Ziel.
Die am Bahnhof aufgestellte Denkmallok 64 317 steht unzugänglich, macht aber einen gut erhaltenen Eindruck. Zwischen den Etagen eines leeren Autotransportwagens war doch noch ein Foto möglich. Im Hintergrund rechts das Bahnhofsgebäude.
Weiterer interessanter Eindruck vom Frankfurter Hbf: Die betagte Universal-Diesellok SU45-164 vor ebenso betagten und wenig gepflegten Doppelstockwagen Görlitzer Produktion bildet einen krassen Kontrast zum DB-Doppelstockzug, den wir wenig später benutzen werden. Auch in Polen ist der Nahverkehr Sache der Gebietskörperschaften. Rund 4 Stunden wird dieser Personenzug nach Poznan (Posen) unterwegs sein - immer unter Fahrdraht, aber eine moderne Zweisystemlok, die die auf der Oderbrücke liegende elektrische Systemgrenze überwinden könnte, ist wohl nicht verfügbar.
In Erkner mussten wir in die Berliner S-Bahn umsteigen. Der Fahrplan sah "Rücklicht-Anschluss" vor und so sahen wir den Zug noch davonfahren und hatten damit 20 Min Zeit. Mal schauen, ob jemand in der Wagenhalle bei den Museumszügen anwesend ist. Der aufgeschreckte Sicherheitsdienst am Eingang verneinte dies, erlaubte einer kleinen Gruppe aber, Fotos vom neben der Halle abgestellten Reinigungszug der Firma Wiebe zu machen. Der hatte zwar noch laufende Untersuchungsfristen, schien aber schon einige Zeit nicht mehr im Einsatz gewesen zu sein.
Beim Umsteigen in Friedrichshagen musste es schnell gehen und gute Fotos gelangen erst wieder im Betriebshof der Schöneiche - Rüdersdorfer Straßenbahn (SRS). Hier steht Fahrleitungs-Arbeitswagen A91 vor der Werkstatt. Er wurde 1914 in Werdau als Personentriebwagen für das heutige Istanbul gebaut, kam aber in Folge des 1. Weltkrieges nie dorthin, sondern als Nr. 258 nach Krefeld. Schon 1922 wurde er nach Schöneiche abgegeben. Mit Nummer 6 bewährte er sich auch hier nicht im Personenverkehr, u. a. weil untermotorisiert und zu langsam. Schon 1925 wurde er zum Turmwagen umgebaut. Außer den Fahrzeugnummern A6, A1 und A91 hat sich seitdem nicht mehr viel an dem Wagen geändert.
Bodenspekulanten kauften in diesem waldreichen Naherholungsgebiet Land auf, um es möglichst mit Gewinn an Berliner wieder zu verkaufen. Die nächste Bahnlinie lag aber einen halbstündigen Fußmarsch entfernt, da lag es nahe, eine Verbindung zu bauen. Die Nachbargemeinde Kalkberge (heute Rüdersdorf) suchte ebenfalls den Anschluss an Berlin und schloss sich kurz darauf an. Das Ziel war die Bahnstation Friedrichshagen, weil hier auch gleich auf die Straßenbahn Köpenick umgestiegen werden konnte. Zuerst mit Benzolloks betrieben, wurde nach wenigen Jahren elektrifiziert. Gemäß dem Charakter der Bahn gab es von Anfang an vierachsige Wagen, aus einer Beschaffungsserie von 1928 ist der Triebwagen 34 mit passendem Beiwagen 20 erhalten, aber leider derzeit nicht einsatzbereit. In den 1960er Jahren war an eine Neuzuteilung von Wagen für den Kleinbetrieb nicht zu denken. Aus der Not entstanden in eigener Werkstatt eine Reihe bemerkenswerter Fahrzeuge. Erhalten ist davon der Triebwagen 73. Wie alle Eigenbauten mit zwei Fahrerständen aber nur einer Türseite ausgestattet, was im Bedarfsfalle das Wenden auf der weitgehend eingleisigen Stecke möglich machte. Anlässlich des 100. Geburtstags der Bahn 2010, konnte dieses Schmuckstück wieder eingesetzt werden.
Mal ein Bild, das bewusst auch ein paar Fahrtteilnehmer zeigt, die es erfreulich viele gab. Die Meisten sind bemüht, sich nicht gegenseitig im Bild zu stehen. In den 1970er und 1980er Jahren bestand der Betrieb praktisch nur noch aus so genannten Rekowagen, die unter Verwendung alter zweiachsiger Fahrgestelle im RAW Schöneweide entstanden waren. Erst nach der Wende 1992-1994 konnte man einige gebrauchte KT4D Baujahre 1979-81 aus Cottbus „an Land ziehen”. Drei wurden bald in Mittenwalde modernisiert, zwei sind noch im Einsatz. Die Planung, in diese Niederflurmittelteile wie in Cottbus einzubauen, scheiterte zunächst. Erst kürzlich war es möglich, drei solche „Hängebauchschweine” komplett aus Cottbus zu erwerben. Das zweite Fahrzeug davon befand sich bei unserem Besuch gerade für Anpassungsarbeiten in der Werkstatt, die Uhr der älteren Wagen läuft also ab. Allerdings sorgt man sich, mit den schwereren Dreiteilern die Fahrzeiten nicht einhalten zu können. Die KT haben eine wunderschöne individuelle Airbrush-Lackierung an Stirn und Heckseite mit Motiven aus der Umgebung der Bahn. Wagen 22 steht vor der Haltestelle Berghof Weiche. Hier befindet sich eine Doppelspurinsel in der wir auf den kreuzenden Planzug warten müssen.
Als zweite aktuelle Fahrzeugtype wurden ab 2000 nach und nach diverse sechsachsige Duewag-Gelenkwagen aus Heidelberg gekauft. So hat man bei Bedarf auch Zweirichtungswagen zur Verfügung. Triebwagen 43 ist Baujahr 1966, auch wenn diese Wagen deutlich älter sind, die Qualität scheint zu überzeugen, jüngst wurden noch drei weitere aus der Stadt am Neckar beschafft. Nachdem unsere Teilnehmer am Betriebshof umgestiegen sind, wartet der Wagen nun auf den nächsten Einsatz.
Duewag-Wagen der 1950/60er Jahre findet man 2011 in Deutschland kaum noch, um so beliebter sind sie in manchen Ländern des ehemaligen Ostblocks geworden. Hier steht Wagen 46 mit Totalwerbung in der Waschhalle in Schöneiche, es scheint auch ohne zugeklebte Fensterscheiben zu gehen. Erstaunlich, dass das fast 60 Jahre alte Design auch heute noch gefällig und nicht veraltet wirkt.
Der Besuch in Schöneiche endete etwas früher als vorgesehen, so dass bis zur Rückfahrt nach Hamburg (in der besten Zeitlage fährt sonnabends leider kein Zug) noch reichlich Zeit zur Verfügung stand. Kurzerhand (moderner Informationstechnik sei Dank) wurde festgestellt, dass es möglich war, die Rückfahrt in die Berliner City (ganz bis zum Hauptbahnhof geht es leider noch nicht) komplett per Straßenbahn zurückzulegen - mit interessanten abendlichen Eindrücken aus dem Ostteil der Hauptstadt, auch wenn es mit unserer 40 Personen Gruppe in Planwagen gelegentlich etwas eng wurde. An der Haltestelle Landsberger Allee / Rhinstraße steigen wir von der 27 auf die M6 um, bevor es weitergeht, ein Blick auf den Gegenzug. Der ICE erreichte Hamburg rund 10 Min verspätet - wer hätte bei der DB noch anderes erwartet? Dennoch war es eine interessante Studienfahrt bei herrlichstem Frühlingswetter.
|
|